21 Juni, 2015

Ein Diktator zum Dessert, Rezension

Für dieses Buch braucht man einen starken Magen, denn nicht nur die Handlung, auch die Protagonistin (eine 105-jährige Köchin aus Marseille), ist ganz schön hart. Nachdem Rose als Kind die Ermordung ihrer Familie mit ansehen musste, versklavt und missbraucht wurde, scheint sie innerlich zerbrochen zu sein. Sie hat keinen Stolz, kein Gewissen und kein Mitleid mehr übrig und lebt nur noch für sexuelle Abenteuer und ihre Rache. Somit gibt sie eine ziemlich düstere Antiheldin, ihre derbe Sprache rundet das Bild lediglich ab. Bitter und mit trotziger Leidenschaft erzählt sie von ihrem Leben, in dem sie eine beträchtliche Anzahl an Diktatoren des 20. Jahrhunderts nicht nur erlebt, sondern auch überlebt hat.


Franz-Olivier Giesbert
Ein Diktator zum Dessert

336 Seiten, broschiert
ISBN 978-3570585382
auch als eBook oder Hörbuch erhältlich

€ 14,99 (D)
Sei es der Genozid an den Armeniern, das dritte Reich mitsamt seinen verrückten Führern und Hassparolen oder der aufkommende Kommunismus - die Protagonistin Rose ist live dabei, hält sich mit Kritik jedoch zurück. Stattdessen schwimmt sie mit dem Strom und arbeitet am Ende sogar für die Nazis. Dieser Punkt hat mich auch ziemlich gestört, denn während man, um seine Haut zu retten, in solchen Zeiten sicherlich lieber still war, stößt mir diese aktive Mitarbeit doch ziemlich sauer auf. Wäre dies kein Roman, sondern eine Biografie, so käme die alte Dame wohl nicht gut weg.

Auf jeden Fall erhält der Leser jedoch eine ordentliche Geschichtsstunde über das 20. Jahrhundert, Rassismus und den Schrecken der Diktatur. Der Autor, Franz-Olivier Giesbert, zeigt sich mutig, indem er sich nicht bemüht, liebenswerte Charaktere zu erschaffen, sondern stattdessen das Grauen des menschlichen Charakters in allen Facetten auskostet. Das Credo „ Lebensfreude durch späte Rache“ möchte ich jedoch nicht unterschreiben.

Am Ende des Buches folgen einige vegetarische Rezepte, die im Roman Erwähnung finden und ein Glossar sowie ein Quellennachweis. Mein Favorit ist jedoch die „Kleine Bibliothek des Jahrhunderts“, in der man weiterführende Werke zu den verschiedenen Diktaturen und Philosophien des 20. Jahrhunderts findet.

Ein Diktator zum Dessert

Rose ist 105 Jahre alt, eine begnadete Köchin mit einem kleinen Restaurant in Marseille. Sie hat den Genozid an den Armeniern, die Schrecken der Nazizeit und die Auswüchse des Maoismus erlebt. Deshalb hat sie vor nichts und niemandem mehr Angst. Für den Fall, dass ihr jemand blöd kommt, trägt sie immer einen Colt in der Tasche. Sie lässt sich von Mamadou, ihrem jugendlichen Gehilfen im Restaurant, auf dem Motorrad durch Marseille kutschieren, hört Patti Smith, treibt sich im Internet auf Singlebörsen herum und denkt auch im biblischen Alter immer nur an das Eine. Und sie meint, dass sie nun alt genug ist, ihre Memoiren zu schreiben: Um das Leben zu feiern und die Weltgeschichte das Fürchten zu lehren. (carl's books)


Aufmachung
Das Softcover besteht aus einem interessant strukturierten Karton und hat einen auffällig weichen Rücken. Die Textgestaltung ist gut lesbar und schlicht. Ein Hingucker ist das rote Vorsatzpapier und die ungewöhnliche Titelgestaltung.


Über den Autor
Franz-Olivier Giesbert, 1949 in Wilmington (USA) geboren, lebt seit seinem dritten Lebensjahr in Frankreich. Seit 1977 schreibt er Romane und Biografien, für die er mehrfach ausgezeichnet wurde und die in viele Weltsprachen übersetzt wurden.



Das Rezensionsexemplar wurde mir freundlich zur Verfügung gestellt von carl's books.

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